Hate speech: Oder was die Amadeu Antonio Stiftung für solche hält

Für mich persönlich ist es echt deprimierend, mich im Internet mit Hasskommentaren (auf neudeutsch also „Hate Speech“) auseinanderzusetzen. Es ist auch extrem ermüdend, immer wieder dieselben Argumentationsmuster lesen zu müssen. Da ich mich aber aus den Diskussionen im Internet raushalte – insbesondere seitdem ich den Blog betreibe – habe ich den neuesten Einfall des Familienministeriums in Zusammenarbeit mit der Amadeu Antonio Stiftung eher nur am Rande vernommen und auch mit nicht mehr als einem müden Lächeln bedacht.

Zumindest bis die Neugier siegte und ich mir diesen „Einfall“ mal sehr genau angeschaut habe.

Der Einfall ist eine Fortsetzung der Broschüre, die in Zusammenarbeit mit dem Justizministerium schon letztes Jahr herausgegeben wurde. Darin beschreiben die Autoren diverse Formen von Hate Speech, und wie man ihnen bei kommen kann. Allerdings wird in dieser Broschüre auf Seite 35 direkt relativiert:

„Rechtlich ist Hate Speech kaum beizukommen.“

Das scheint die Stiftung nicht davon abzuhalten, eine neue Broschüre in die Welt zu werfen, die diesem Umstand keine Beachtung mehr schenkt und fleißig erzählt, wie man rechtlich vorgehen kann.

Der neueste Einfall der Amadeu Antonio Stiftung, in Zusammenarbeit mit dem Familienministerium ist jetzt eine 20-Seitige Broschüre mit Handlungsempfehlungen bei Hetze gegenüber Flüchtlingen in sozialen Medien. Der Titel dieses Werkes lautet:

„HETZE GEGEN FLÜCHTLINGE IN SOZIALEN MEDIEN – HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN“

Gut, dass solche Handlungsempfehlungen zurzeit vielleicht sogar angebracht sind, will ich gar nicht groß in Frage stellen. Jeder, der im Laufe der letzten Monate mal auf Facebook war und irgendeine Seite anklickte, um dort die Kommentare zu lesen, traf quasi unweigerlich auf das Thema Flüchtlinge und diverse „Meinungen“ zu dem Thema.
Und diese Meinungen deckten das komplette Spektrum ab. Von grenzenloser Willkommenskultur bis hin zu geistigem Dünnschiss, bei dem selbst Hitler, Goebbels und Konsorten die Ohren geschlackert hätten. Und insbesondere diese rechten Kommentare tauchen vermehrt auf, und Menschen die mit sowas konfrontiert werden, können durchaus ein berechtigtes Interesse haben, gegen solche Kommentare vorzugehen. Warum man dafür allerdings ein Pamphlet auf 20 Seiten zusammenschustern muss, entzieht sich meiner Kenntnis. Denn jeder, der alt genug ist, Facebook zu nutzen, sollte genug Grips besitzen, selbstständig gegen Hassreden, Beleidigungen und Bedrohungen vorzugehen. Vor diesem Hintergrund hat mich dann doch die Neugier gepackt und ich wollte wissen, was dem Ministerium und der Stiftung noch so alles eingefallen ist, um Menschen bei ihrem Kampf gegen Hasskommentare zu unterstützen. Das was ich in der Broschüre gefunden habe, hilft aber in keinster Weise gegen Hasskommentare, sondern ist nur erschreckend Banal und Bevormundend. Im Folgenden möchte ich die Broschüre durcharbeiten und dabei mal auf ein paar Punkte eingehen, die mich beim Lesen wirklich gestört haben.

Beginnen wir mal ganz vorne, auf Seite 5, mit den Indikatoren, die auf rassistische Hetze hindeuten können und meinen Kommentaren dazu (kursiv):

„Häufige Formen rassistischer Hetze gegen Flüchtlinge sind:

# Gegenüberstellung »Wir« und »Die«
Das soll schon als rassistische Hetze gegenüber Flüchtlingen gelten? Ernsthaft? Bisschen dünnhäutig, alleine nach dieser Satzstruktur zu gehen, da eine Gegenüberstellende Aussage nicht zwangsläufig diskriminierend wirken muss.
Beispiel: Wir (die Europäer) müssen dafür sorgen, dass die (Flüchtlinge) in Europa eine gerechte Behandlung erfahren.
Außerdem findet so eine Gegenüberstellung auch schon hier in der Broschüre statt. Der brave Bürger kämpft gegen die bösen Rechten, oder?

# Verallgemeinerungen (»alle Flüchtlinge …) und Gleichsetzungen (z.B. Flüchtling = Muslim)
Eine Verallgemeinerung ist natürlich eine bescheuerte Argumentation, aber wo ist da die Hassrede? Gleichsetzungen bedeuten zwar meistens, dass der Argumentierende nicht so wirklich Ahnung von dem Thema hat, aber auch sowas qualifiziert noch nicht direkt als Hassrede. Ansonsten ähnelt der Punkt dem Punkt direkt darüber.

# Normalisierung von Diskriminierungen: »Ist doch kein Wunder, dass…«
Gut, hier will ich mal nicht so hart ins Gericht gehen. Auf diesen Satzanfang folgte wohl noch nie irgendwas Positives.

# Projektionen von gesamtgesellschaftlichen Problemen wie Sexismus, Kriminalität oder Wohnungsmangel z.B. auf »Flüchtlinge«
Hier muss man hingegen wieder vorsichtig sein, denn sobald man sich in der Argumentation auf einen bestimmten, belegten Vorfall bezieht, gilt dieser Stichpunkt nicht. Ansonsten könnte im Einzelfall tatsächlich Volksverhetzung vorliegen.

# Abwertende Bezeichnungen: z. B. »Wirtschaftsflüchtling« suggeriert, dass das Grundrecht auf Asyl hier von Menschen ausgenutzt werde, die nur aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen, nicht, weil sie Schutz vor Verfolgung suchen.
Abwertende Bezeichnungen können tatsächlich beleidigen. „Wirtschaftsflüchtling“ dürfte allerdings bei Behörden noch nicht als Beleidigung aufgefasst werden.

# Entmenschlichung: Gleichsetzung von Flüchtlingen mit Insekten, Parasiten, Tieren, etc.
Na also, da sind wir uns doch mal einig. Das wäre tatsächlich etwas, das man anzeigen kann.
Aber damit ich hier auch was zu meckern habe: Insekten SIND Tiere.

# Lügen über Geflüchtete und angebliche Kriminalität, Gewalt, Vergewaltigungen, gefälschte Behördendokumente – oft getarnt als vorgebliches eigenes Erleben.
Auch hier sind wir uns einig. Vorsätzlich zu lügen ist ein Straftatbestand. Aber was, wenn man tatsächlich mal auf jemanden trifft, der einen der oben genannten Punkte (mit)erlebt hat?

# Kulturrassismus (»Die passen einfach nicht zu uns«)
Hier muss ich wieder meckern, denn sogenannter „Kulturrassismus“ ist nicht pauschal als Hassrede zu verurteilen und erstmal nicht strafrechtlich relevant. Solange auf diesen „Kulturrassismus“ keine strafrechtlich relevanten Inhalte folgen, muss man diese Aussagen im Zuge der freien Meinungsäußerung akzeptieren.

# (Nationalistische) Relativierungen: Was ist mit »unseren« Kindern/Obdachlosen etc.?
Hier verstehe ich zwar, wo die Hassrede stecken soll, aber jemand, der so eine Aussage vorbringt, zeigt höchstens mal wieder seine eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten. Trotzdem ist auch debiler Schrott nichts, wofür man angezeigt werden kann.

# Bald fühlt man sich fremd im eigenen Land/»Volkstod«
Typisch rechte Aussage, das stimmt und deren einziges Ziel ist tatsächlich das aktive Schüren von ablehnendem Verhalten gegenüber der beschriebenen Gruppe. Vielleicht tatsächlich Hassrede.

# Die da oben/die Lügenpresse – erzählen uns eh nicht die Wahrheit
Keine Hassrede, eher ein Zeichen dafür, dass da jemand seine Medikamente nicht genommen hat. Sowas bekommt keine Anzeige, sondern einen Betreuer zugewiesen.

# Wer Geflüchteten hilft, ist mindestens ein Gutmensch, oder gleich linksextrem.
Nur weil rechte das Wort „Gutmensch“ zum Schimpfwort auserkoren haben, gehen wir gleich auf die Barrikaden? Könnte man nicht wenigstens DA drüber stehen?
Wenn ich mir anschaue, was diverse link(sextrem)e Gruppen in Deutschland so anstellen, könnte man schon fast sagen, dass die Bezeichnung „Linksextrem“ eine Beleidigung darstellt, das stimmt.

# Bin ich denn gleich ein Nazi, nur weil ich …/wo ist meine Meinungsfreiheit, wenn ihr meine Kommentare löscht?
Hierauf hab‘ ich mich wirklich schon gefreut. Also:
Hier haben wir die Nazikeule und gelöschte Kommentare. Viele Menschen die im Internet Hass gegen Flüchtlinge schüren, verdienen diese Keule tatsächlich. Allerdings wird sie auch immer wieder hervorgeholt, wenn jemand rechte, oder kontroverse Aussagen tätigt, sich aber trotzdem auf eine Diskussion einlässt – zumindest bis die Keule dann zuschlägt, danach war es das mit der Debatte meist. Die Keule trifft gelegentlich ins Schwarze, kommt aber oftmals auch zu früh, bzw. haut ordentlich daneben. Nicht jede Erwähnung der Nazikeule stellt also sofort eine vorangegangene Hassrede dar (siehe auch Screenshot am Ende des Textes).
Gelöschte Kommentare. Tja, das ist immer lustig. Die Leute glauben, ihr Recht auf freie Meinungsäußerung würde eingeschränkt werden, wenn jemand vom Hausrecht Gebrauch macht und unerwünschte Kommentare (zum Großteil mit strafrechtlich relevantem Inhalt, gelegentlich auch nur, weil sie total am Thema vorbei gehen) löscht. Das ist falsch. Im Moment tut niemand aktiv etwas dafür, das Recht auf freie Meinungsäußerung zu beschneiden. Noch. Warum sich das aber ganz schnell ändern könnte, erkläre ich gleich.

Ich käme mit den Punkten vermutlich besser klar, wenn man im Einleitenden Satz nicht direkt herausgestellt hätte, dass diese angeführten Punkte „häufige Formen rassistischer Hetze“ sind. Diese Einleitung bietet die perfekte Ausrede, sich nicht Inhaltlich mit den Aussagen befassen zu müssen, sondern einfach melden, blocken und anzeigen zu können. Und zu dem Punkt kommen wir jetzt, da nun in dieser Broschüre herausgestellt wird, was man gegen Hasskommentare tun kann und was es überhaupt für anzeigewürdige Straftatbestände gibt.
Und was kann man gegen solche Kommentare tun? Korrekt. Melden und die Verfasser Anzeigen. Und siehe da, schon wird unser StGB bemüht, indem mal schnell erklärt wird, was Volksverhetzung, Beleidigung und Aufforderung zu Straftaten eigentlich sind. Hätte man diesen Absatz an den Anfang der Broschüre gestellt, hätte man sich diese „häufige(n) Formen rassistischer Hetze gegen Flüchtlinge“ auf der vorherigen Seite echt sparen können. Denn alle strafrechtlich relevanten Aussagen waren vorher auch schon genau das. Nämlich die schriftliche Erlaubnis des Verfassers, ihn für seine Äußerungen anzeigen zu dürfen. Und es gibt genügend Menschen, die das bereits tun. Kapitän Schwandt hat z.B. nach seinen Fernsehauftritten mittlerweile vermehrt mit solchen Hassaffen zu tun, und bringt vermutlich jeden Tag ein paar Sammelaufträge zur Polizei.

Wer so eine Anzeige aufgibt, wird in der Broschüre auch direkt vorgewarnt, dass bei einer Anzeige der Beschuldigte Akteneinsicht verlangen kann und so auf die persönlichen Daten des Anzeigenstellers treffen kann. Um das zu umgehen wird in der Broschüre dazu geraten, einfach einen Fake-E-Mail-Account anzulegen.

Schon bis hier hin sehe ich ein ganz gewaltiges Problem: Die Broschüre degradiert unschöne, aber dennoch strafrechtlich nicht relevante Aussagen ganz einfach und problemlos zur Hassrede, auch wenn unser Gesetzbuch diesen Begriff gar nicht kennt. Was zur Anzeige gebracht werden kann, wird in der Broschüre auch nur indirekt aufgeführt, indem zwar die entsprechenden Paragraphen im StGB zitiert werden, die Anwendung der Paragraphen aber natürlich stark vereinfacht wird. Dazu kommt dann noch, dass man den Leuten rät, anonyme Anzeigen zu erstatten. Ich sehe schon seitenweise Anzeigen bei Staatsanwaltschaften und Polizei eingehen, nur um umgehend wieder im Papierkorb zu landen, weil die Screenshots keinen Tatbestand erfüllen.

Wenigstens werden in der Broschüre noch andere Möglichkeiten benannt, um gegen Hassreden vorzugehen. Es gibt einen kleinen Guide zum Thema Argumentationsstrategien. Die wären da:

Nachfragen
Benennen
Sich Wehren und Gegenargumentieren
Rechtsextreme im Netz in der Diskussion erkennen

Wow. Jetzt gibt es schon eine Broschüre für etwas, das ich als „normale Diskussion“ bezeichnen würde, bei der man sich die Argumente des Gegenübers ansieht und versucht, den Fehler, bzw. die Lücke der Argumentation zu finden, zu benennen und mit Fakten zu untermauern. Den letzten Punkt könnte man auch als „Aussortieren der Trolle“ bezeichnen. Auch das gehört zu einer Diskussion im Internet. Aber warum kommt diese Anleitung so spät in der Broschüre? Die müsste an den Anfang. Als nächstes sollte man dann darüber reden, welche Möglichkeiten bleiben, wenn diese Strategie nicht zum Ziel führt und das Gegenüber dennoch Beleidigt oder Bedroht.
Die Broschüre liefert stattdessen einen tieferen Einblick in die Welt des sogenannten Debunkings, also dem Entlarven von Verschwörungstheorien und Falschaussagen. Lustig, so einen Abschnitt hätte ich auch schreiben können, damit hab‘ ich Erfahrung.
Besagter Abschnitt ist relativ langweilig, es ist quasi das „Debunking 101“, oder auch „Debunking für Dummies“, eher eine Anleitung für Leute, die noch nie im Internet diskutiert haben, aber sich unbedingt mal aufspielen wollen. Der Eindruck wird durch diesen Absatz hier erhärtet:

„Fallstricke vermeiden
Wie die genannten drei Hinweise zum Debunking schon andeuten, kann Debunking bei falscher Anwendung auch das Gegenteil von dem bewirken, was ursprünglich geplant war.“

Ganz ehrlich? Wer nicht in der Lage ist, sein Argument unmissverständlich rüberzubringen, sollte sich aus laufenden Diskussionen ohnehin eher raushalten, bzw. das Feld denen überlassen, die genau das können.

Nagut, wir kommen schon zum Ende der Broschüre, es wird der letzte Punkt eingebracht. Selbstschutz und Empowerment.

Es beginnt mit 10 Regeln für den Selbstschutz (Anmerkungen meinerseits wieder in kursiver Schrift):

1. Blocken, blocken, blocken
Leute zu blocken ist jedermanns gutes Recht, ich kann nur dazu raten, mit dem Blockieren von Leuten vorsichtig zu sein, da somit die Gefahr steigt, in seiner eigenen Filterblase zu landen. Aber klar, sobald man offensichtlichen Hass erdulden muss, sollte man blocken und melden.

2. Schütze dich
Hier bedeutet das: „Bleibe Anonym“. Und das ist allgemein ein guter Rat für die eigene Internetpräsenz. Sein Leben zu teilen ist ja ganz nett, aber es sollte Grenzen geben – insbesondere im Hinblick darauf, wer persönliche Details aus dem eigenen Leben mitbekommen soll. Von Fotos der eigenen Kinder, oder Familienmitgliedern ganz zu schweigen. Die gehen eigentlich keinen was an. Besonders nicht Facebook. Und erst recht nicht die Öffentlichkeit.

3. Nimm Beleidigungen nicht zu persönlich
Ja, das ist auch ein guter (wenn auch wieder unfassbar offensichtlicher) Rat. Fällt mir bisweilen auch schwer. Wenn ihr mich mal richtig schnell provozieren wollt, empfehle ich eine dämliche Aussage, gepaart mit einem „XD“ oder dem WhatsApp-Smiley der tränen lacht. Dann müsst ihr euch aber auch nicht wundern, wenn ich am nächsten Morgen auf dem Rücksitz eures Autos warte.

4. Achte auf dich
Man soll bei Facebook-Courage auf die eigene Gesundheit achten und sich auch mal aus Debatten raushalten. Das finde ich auch wieder spannend. Wie viel Zeit sollen die Ritter der Facebookrunde denn beim Kampf gegen rechts einplanen? Stunden? Tage? Jahre?

5. Nicht zu viele Rechtfertigungen
Zitat: „Du musst dich nicht dafür entschuldigen, dass du rassistischer Hetze widersprichst. Vor allem in einem Schlagabtausch mit Rechten mit einem gefestigten Weltbild, ist es oft besser eine Diskussion abzubrechen“

Lustig. Oben gibt es noch den Leitfaden zur 0815-Diskussion und hier steht, man soll sich bloß nicht rechtfertigen. Wo ist denn die Grenze zwischen einer Erklärung und einer Rechtfertigung? Soll man es so machen, wie die Kommentatoren, gegen die man vorgehen will? Einen Satz posten und fertig? Oder soll man doch auf die Argumente eingehen und sie widerlegen? Wenn schon nicht für den, mit dem man diskutiert, dann wenigstens für die Öffentlichkeit, welche die Debatte verfolgen kann und gewisse Informationen vielleicht nicht besitzt?

6. Such Dir professionelle Hilfe
Hier geht es darum, sich gegebenenfalls an einen Psychologen zu wenden, oder aber auch zu Beratungsstellen zu gehen, wenn Freunde/Bekannte/Verwandte in das rechte Milieu abdriften. Kann man eigentlich so stehen lassen.

7. Versuche Betroffene in Diskussionen zu unterstützen
Zugegeben, DAS würde ich mir tatsächlich gerne in jeder Diskussion wünschen. Dass Menschen mit Fakten in der Hinterhand endlich mal den Arsch hoch kriegen und Behauptungen in Debatten entkräften. Aber gut, ich selbst hab‘ ja auch damit aufgehört, also sollte ich vielleicht bei dem Thema ganz kleine Brötchen backen.

8. Veröffentliche die härtesten Sachen
Zitat: „Öffentlichkeit bedeutet in diesem Fall Schutz und Solidarität, Privatheit bedeutet vielleicht sogar, dass du dich selbst mit dem Abfall alleine lässt. Veröffentliche es ruhig anonym, oder auch mit Namen. Jedenfalls gilt: Anonymität ist nicht unbedingt ein Indikator für Hass. Die härtesten Sachen kommen oftmals von Menschen, die in ihrer Signatur mit vollem Namen auftreten.“

Genau! Stellt das verdammte Arschloch an den Pranger! Zur Polizei zu gehen genügt nicht, alles was nicht mit der eigenen Meinung konform geht und angeblich Hetze ist, muss gefälligst auch noch öffentlich gemacht werden!
Versteht mich nicht falsch. Seiten wie „Hooligans gegen Satzbau“ oder „Der goldene Aluhut“ gefallen mir tatsächlich und ich lese sie mit großer Freude. Aber auch nur weil ich weiß, dass diese Seiten zu 99% wirklich nur Dinge veröffentlichen, die tatsächlich zur Anzeige gebracht werden könnten, bzw. abgrundtief unwissenschaftlich sind. Ich meine, auch ich habe auf Facebook bereits solche Kommentare veröffentlicht um den Schwachsinn zu protokollieren. Aber auch ich würde mir wünschen, dass mir jemand den Arsch aufreißt, sobald die Kommentare, die ich auf Facebook veröffentliche nicht mehr objektiv als Schwachsinn zu erkennen sind, sondern lediglich aufgrund meiner persönlichen (politischen) Gesinnung als solcher gesehen werden könnten. Ich möchte keinesfalls, dass sich eine Kultur des Bloßstellens etabliert, nur weil Menschen geteilter Meinung sind und Debatten im Netz gerne mal rauer zugehen.

9. Suche Dir Verbündete
Quasi Punkt 7, nur dass man sich mit den Verbündeten absprechen soll. Das hat schon eher was von „Wir sind Legion. Wir sind viele. Höre auf unsere Masse, nicht auf unsere Argumente!“

10. Netzwerken
Zitat: „Netzwerke aus Gleichgesinnten, die sich mit Neuigkeiten und Nachrichten versorgen und die sich mobilisieren lassen sind auch online sehr wichtig. Es kann zum Beispiel auf Veranstaltungen, Publikationen und Aktionen hingewiesen werden. Gemeinsam lässt sich auch eine größere Aktion im Internet realisieren: zum Beispiel eine Hashtag-Kampagne oder eine witzige Facebook-Seite, um rechte Hetze mit Humor in den Schatten zu stellen.“

Auch das hier muss man einfach gelesen haben. Ist das die neue Form von deutschem Aktionismus? Weg von der Straße, hin vor den heimischen PC und zum Internetritter verkommen? Sich zusammenrotten und eine Hashtag-Kampagne starten? Werden wir so die Welt retten? Mit Hashtags? Wirklich?

In der ganzen Broschüre fällt nicht einmal der Satz, dass Hetze vielfältig ist und auch von anderen (politischen) Strömungen generiert werden kann, auch fehlt mir ein Hinweis darauf, dass man sowohl im Recht sein kann, als auch nach den oben genannten Punkten gegen andere Menschen Hetzen kann. Zum Beispiel über Pauschalisierungen oder durch Aufrufe zum Boykott, bzw. zur Fahndung, falscher Verdächtigung, Rufmord oder ähnlichem.

Die Broschüre ist ein Witz. Aber warum ich es für nötig erachtet habe, meinen Senf dazu abzugeben ist die Frage, wohin das in Zukunft führt. Auf den 20 Seiten der Broschüre gibt es kein handfestes Beispiel für Hetze, die angezeigt werden sollte. Es werden vage Richtlinien angegeben, die für jeden einzelnen einen riesigen Interpretationsspielraum lassen. Auch Aussagen, die nicht unter Hassreden fallen, werden als solche betitelt, was die Diskussion erschwert und die Bildung von Fronten vorantreibt, bzw. weiter verhärtet.
Es wäre ein leichtes gewesen, die Leute darauf aufmerksam zu machen, dass das Strafrecht, das in Deutschland besteht, zur Anwendung gebracht werden kann, ganz ohne diesen faden Beigeschmack der Zensur.
Denn wenn ich mir diese Broschüre durchlese, frage ich mich ganz ehrlich, wohin die Diskussionskultur in diesem Land steuern soll, und wie Debatten aussehen, wenn die Flüchtlingskatastrophe nicht mehr so akut ist, wie es im Moment der Fall zu sein scheint.
Bringt man nicht genehme Aussagen und Meinungen jetzt unter fadenscheinigen Vorwänden vor Gericht? Will man die Diskussionskultur in der Öffentlichkeit jetzt von den Menschen vorschreiben lassen, die auf Facebook diskutieren? Wollen wir eine Kultur haben, wie sie sich in Amerika zeigt? Wo an Universitäten heikle Themen nicht diskutiert werden dürfen, weil Studenten ihre Form von Hassrede als „Mikroaggression“ bezeichnen? Wo linke Studenten sichere Räume fordern, an denen ihre „Gefühle nicht verletzt werden“?

Zugegeben, diese Studenten haben ihre Atmosphäre ganz ohne Eingriff vom Staat geschaffen, aber wohin der Weg führt, wenn man mit dem Argument der gegenseitigen Rücksichtnahme und dem konsequenten aussieben von Hassreden, bzw. Mikroaggressionen ein Umfeld konstruiert, bei dem eine „Kontroverse“ nur noch ein Relikt vergangener Zeiten ist, kann man nicht nur an den US-Unis bewundern. Auch im Internet finden sich auf Plattformen wie Tumblr verschiedene Gemeinden von zumeist jugendlichen, die Political Correctness in pervertierter Reinform betreiben. Webcomics, bei denen auch nur der kleinste Ansatz von Blut zu sehen ist, werden dazu aufgefordert, in den Beschreibungen der Comics auf diesen Umstand hinzuweisen, damit sich niemand durch rote Flecken in einem Webcomic belästigt, oder verängstigt fühlt. Aber es geht noch besser:

NEVER FORGET TUMBLR VS. POMEGRANATES pic.twitter.com/vxrrJZVSLe

— Tumblr Logic (@tumblritelogic) 19. November 2015

Jap. Ganz genau. Da möchte jemand, dass man eine Frucht tagged, damit sich Leute nicht erschrecken, wenn sie dem Bild begegnen. Exakt. Obst. Damit sich keiner schlecht fühlen muss. Wegen Obst.

Common sense is ableist. pic.twitter.com/n1yYRTzOof

— Tumblr Logic (@tumblritelogic) 9. Februar 2016

Jap, gesunden Menschenverstand erwischt es ebenfalls im Internet.
Ich könnte noch Stunden damit zubringen, diese Beispiele zu präsentieren, aber der Twitter Account da bietet genug Material für private Nachforschungen.
Aber ein Beispiel hab‘ ich noch, für die Intoleranz der ach so toleranten:

[Tumblr voice] U can’t ur sexuality don’t don’t judge u ass

Wait lol there are exceptions to that rule pic.twitter.com/GjUMfdzqfL

— Tumblr Logic (@tumblritelogic) 22. Dezember 2015

Klar sind wir von diesen Verhältnissen noch weit entfernt, insbesondere weil ich hier extreme Beispiele angebracht habe. Aber solche Beispiele zeigen, wohin der Weg führen kann. Und das geht umso schneller, wenn diese Diskussionskultur jetzt noch mit einer offiziellen Bekämpfungsstrategie von einer Stiftung in Kooperation mit einem Ministerium unterstützt wird.
Wo ich gerade „Ministerium“ lese: Seit wann finden wir es eigentlich gut, dass ein Ministerium uns vorschreibt, was wir wie zu sagen haben?

Und ein Punkt fehlt mir noch, den möchte ich nutzen, um den Bogen zu den Themen auf meinem Blog zu schlagen: Gentechnik wird in ganz Europa lautstark abgelehnt. Glyphosat auch. Soll das bedeuten, dass ich in Zukunft fürchten muss, eine etwas härtere Diskussion (für die ich immer gerne zu haben bin) wird in Zukunft zensiert werden, einfach weil einige den Ton der Debatte nicht teilen, bzw. weil sie ihre Meinung höher bewerten, als Fakten? Was passiert mit Leuten, die, wie in der Broschüre dargestellt, diskutieren, wenn sie mal Unrecht haben? Bilden sie dann wie beschrieben eine Front, die in der „Öffentlichkeit“ alles Niederbrüllt, was nicht in deren Weltbild passt?
Wie sieht es aus, wenn wir später mal wirklich vor einer wichtigen Entscheidung stehen? Ähnlich wie die Briten vor ein paar Wochen? Muss ich mir dann sorgen machen, dass ein Ministerium an einer Broschüre mitarbeitet, die ganz unauffällig unliebsame Meinungen als Hate Speech diskreditiert?
Das wäre ganz schön scheiße.

Und zum Abschluss noch ein Beispiel dafür, dass Hassreden eben keine Erfindung der Rechten sind, sondern dass es auch Linke gibt, die das Kunststück vollbringen, zu urteilen, in Ecken zu drängen und Debatten zu vergiften:

Hate Speech Facebook
Kleine Anmerkung: Der Eröffnungskommentar wurde von einer anderen Person geschrieben, als die darunterliegenden Kommentare. Kommentar Nummer 2 stammt von einer Person mit eindeutig deutschem Namen, Nummer 3 von einer Person mit türkischem Namen, die beiden wechseln sich ab. Es geht bei dem Thema um den Mann aus China, der die letzten Tage versehentlich in einem Flüchtlingsheim verbracht hat

Beispiele wie dieses lassen sich überall auf Facebook finden. Ausnahmslos überall. Bei wirklich jedem Thema. Gegen diese Diskussionskultur kann man nicht vorgehen, erst recht nicht, in dem man die Bevölkerung zu Nachwuchsspionen und Rufmördern erzieht. Und das ist auch gut so.