So, ich muss mich mal wieder aufregen. Ausnahmsweise mal nicht erst zum Wochenende, sondern heute schon. Ich verfolge ja die Debatte rund um die Frage, ob und wie Facebook gegen falsche Nachrichten vorgehen soll. Mittlerweile hat sich Facebook zu konkreten Maßnahmen geäußert. Es will einen Meldebutton für Fake News einbauen und Beiträge, die besonders häufig gemeldet wurden, an eine externe Stelle (in unserem Fall an die Journalisten von Correctiv) zur Prüfung weiterleiten. Diese Journalisten prüfen dann und entscheiden darüber, ob besagte Meldung mit einem Hinweis auf Fake News versehen werden soll.
In den Kommentaren zu einem Artikel der FAZ finden sich erstaunlich viele Menschen, die diesem Thema nicht nur aufgeschlossen gegenüberstehen, sondern dieses Vorhaben quasi bejubeln. Es gehe ja nur darum, Fake News von Fakten zu unterscheiden.
Ich habe mit dem Thema so viele Probleme, dass ich gar nicht weiß, wo ich beginnen soll, also fangen wir mal vorne an:
Was sollen überhaupt Fake News sein?
Eine direkte Lüge?
Eine einseitige Berichterstattung?
Schlechte Recherche?
Ohne eindeutige Kriterien dafür, was sich als Fake News qualifiziert und was nicht, überlässt man die Einordnung den Facebooknutzern, die alle irgendeine ideologische Färbung haben.
Das bringt mich zum nächsten Punkt, nämlich dass diese Schlacht um Falschmeldungen von beiden Seiten sehr leicht missbraucht werden kann, wenn es um Meldungen geht, die der jeweiligen Seite nicht passen. Um mal von dem Thema der Flüchtlingsdebatte weg zu kommen, hin zu den Themen die auch für diesen Blog hier relevant sind, mal ein Beispiel aus der Debatte über Gentechnik:
Eine Grüne Gruppierung schreibt einen Text über die Gefahren der Gentechnik. Eine Zeitung lässt von einem Wissenschaftler einen Artikel schreiben, der die Fakten darstellen soll. Besagter Artikel passt der grünen Gruppierung allerdings nicht, diese mobilisieren ihre Mitglieder um mal eben schnell den Artikel zu melden und besagtes Schriftstück der Zeitung wird zur Prüfung an Correctiv geschickt.
Wir alle wissen, dass es einen „ausgewogenen Journalismus“ bei Fakten nicht geben kann. Sollte also ein Journalist zum Beispiel die Ausgewogenheit des Zeitungsartikels vermissen (wir wissen ja, es gibt bisher eigentlich keine Kriterien, was Fake News sein sollen), könnte der Text plötzlich mit einem Warnhinweis versehen werden.
Wo ich gerade das Wort „Fakten“ benutzt habe, müssen wir auch darüber reden. Bei politischen Debatten ist es nicht gerade einfach, Fakten auf den Tisch zu legen, da ein Thema politisch eben auf vielen Ebenen beleuchtet wird. Ich gehe jede Wette ein, dass die Artikel, die sich mit der AFD beschäftigen, relativ häufig als Fake News gemeldet werden, weil die Menschen die Inhalte ablehnen, da sie von der AFD kommen (und anscheinend will man ja ums Verrecken vermeiden, dass man politisch auch nur den kleinsten Schnittpunkt mit der AFD hat). Es gibt noch immer keine Kriterien, was Fake News sein sollen, weshalb die endgültige Bewertung immer dem Journalisten aufgebürdet wird, der sich mit dem jeweiligen Beitrag beschäftigen muss.
Und viel Zeit zur Recherche bleibt den Journalisten ohnehin nicht. Denn wenn es nach der GroKo geht, soll noch vor den Wahlen diesen Jahres ein Gesetz auf den Weg gebracht werden, das Facebook unter Androhung von bis zu 500.000 Euro Strafe dazu verpflichtet, Fake News innerhalb von höchstens 24 Stunden zu löschen.
Wo bleibt da bitte noch Zeit für eine anständige, umfangreiche Recherche? Facebook wird sicherlich dazu übergehen, seine Prüfstellen dazu anzuhalten, die Meldungen eher zu löschen, als regelmäßig solche Strafandrohungen zu bekommen und die Anwälte zu beschäftigen.
In der Silvesternacht 2015/16 verbreiteten sich die Meldungen über Übergriffe lange bevor seriöse Medien ihre journalistische Arbeit veröffentlichten. Wären diese Meldungen also alle als Fake News betitelt und gelöscht worden, obwohl sie sich am Ende als wahr herausstellten?
Von diesem Punkt aus, ist es nur noch ein kleiner Sprung hin zu einer offenen Zensur. Dann wird mal der Begriff Fake News ein wenig weiter gefasst, man erklärt, gleich auch noch gegen Hate Speech vorgehen zu wollen, stellt noch mehr Menschen zur Prüfung der Meldungen ein, schickt (natürlich intern) einige Anweisungen rum, welche Meldungen zu löschen sind und schon ist die Pressefreiheit tot.
Wieso halten wir die Menschen überhaupt für zu blöd für Demokratie? Wieso bevormunden wir sie und erzählen ihnen, welche Berichte stimmen – und welche anscheinend Fake News sein sollen? Man soll sich doch seines eigenen Verstandes bedienen. Einige Menschen sind dazu nicht in der Lage. Aber jetzt so zu tun, als wäre die Lösung des Problems eine Bevormundung, bringt uns auch nicht weiter. Es wäre weniger verlogen, die Demokratie abzuschaffen und das Wahlrecht an Bedingungen zu knüpfen.
Außerdem löst das unser Kernproblem des chronischen Misstrauens gegenüber klassischen Medien nicht. Es wäre effizienter, einfach Journalisten anständig auszubilden, als dafür zu sorgen, dass ein Teil des Volkes entscheiden kann, ob eine Meldung als korrekt anzusehen ist, oder nicht. Medien müssen endlich wieder in ihre Rolle als Kritiker und Wächter zurückkehren, Artikel schreiben, die der Wahrheit entsprechen – sei sie auch noch so unangenehm für ein Lager.
Was mir auch missfällt ist die Tatsache, dass Correctiv indirekt durch das Innenministerium gefördert wird. Bei meinem Text über die Amadeo-Antonio-Stiftung hab‘ ich ja schon Mal mein Unbehagen darüber geäußert, dass der Staat Einfluss auf die Meinungsbildung nehmen will.
Jetzt könnte man natürlich wieder einwenden, dass es ja wirklich nur um den Unterschied zwischen Fakten und Falschmeldungen geht. Ich empfinde diesen Ruf nach Fakten wirklich als Lachhaft. Hat sich jemals jemand von Fakten überzeugen lassen? Jemand, der seine Meinung hat, wird sich sicherlich nicht vom Gegenteil überzeugen lassen, nur weil man eine Meldung, die er als Wahr erachtet, mit „Achtung, Fake News“ kennzeichnet.
Auch kommt es mir eher so vor, als wären die Menschen, die jetzt nach Fakten rufen auch gleichzeitig die, wegen denen ich angefangen habe, meinen Blog zu schreiben…
Eine offene, gebildete, mutige Gesellschaft muss auch mit Fake News leben können. Der Ruf nach mehr Zensur kann darauf nicht die Lösung sein. Besserer Journalismus, eine gebildete Gesellschaft und das Wissen im Umgang mit Polemik, sowie die konsequente Anwendung unserer Gesetze sind aber durchaus Möglichkeiten, unsere Probleme zu lösen. Aber das wäre wohl zu umständlich.