Seit Wochen wartete ich schon freudig. Jeden Tag habe ich die Stundenpläne gecheckt, um sicherzustellen, dass sie niemand mehr verändert. Schon stunden bevor ich losgefahren bin, konnte ich an nix anderes mehr denken. Und heute war es endlich soweit!
Die erste Vorlesung in Astrophysik.
Naja, mehr oder weniger. Denn diese Vorlesungsreihe ist in jeder Hinsicht etwas Besonderes. In meiner Hochschule wird diese Vorlesung seit über 20 Jahren jedes Jahr angeboten und richtet sich ausdrücklich an die Öffentlichkeit. Natürlich sind auch Studenten herzlich eingeladen, aber wir bilden in dieser Veranstaltung hoffnungslos die Minderheit. Den Löwenanteil des Publikums stellen Herren im Besten Alter. Auch sind einige Damen anwesend, sowie der wohl coolste Neunjährige, den es gibt (dazu später mehr).
Da sich diese Vorlesung also an ein breites Publikum richtet, darf man natürlich keine tiefgreifende Mathematik oder umfangreiche Herleitungen verschiedener Phänomene erwarten. Es geht eher darum, unser Universum zu erklären. Was darin passiert, wie es passiert, warum es passiert und woran Wissenschaftler und Ingenieure aktuell so arbeiten. Und natürlich wird auch viel Diskutiert. Denn wo auch immer ein Haufen älterer Herren aufeinandertrifft, besteht quasi an allem ein erhöhter Diskussionsbedarf. Das ist natürlich nur mokant gemeint, große Teile des Publikums sind schon seit Jahren treue Teilnehmer und bringen einen immensen Fundus an Vorwissen mit, von dem wir uns auch eine Scheibe abschneiden konnten.
Dementsprechend entspannt und locker gestaltet sich auch die Atmosphäre (pun intended) und dementsprechend ungewöhnlich gestaltet sich der Einstieg in die Materie. Eigentlich erwarte ich zum Start in so eine Vorlesung ein Bild, nicht unähnlich diesem hier
Denn es scheint sich rumgesprochen zu haben, dass man den Leuten nur die Sterne und Planeten nahebringen kann, wenn man ihnen klar macht, wie winzig klein sie sind, und wie groß doch das dunkle Universum um sie herum ist. Warum auch nicht? Demut sorgt wohl für Aufmerksamkeit. Und was würde einen interessierten Hobbyastronomen demütiger machen, als das Wissen, dass all unsere Sorgen und Nöte im großen und ganzen doch eigentlich verschwindend gering sind, wenn man sie durch das große Gesamtbild betrachtet? Aber diesen Ansatz wollen wir nicht verfolgen. Wir stiegen stattdessen mit einem Bild ähnlich diesem hier ein
Die Frage lautete, was dort zu sehen ist. Der Neunjährige, für den ich mir noch einen passenden Spitznamen ausdenken muss, hat natürlich die Milchstraße glasklar identifiziert und auf die Frage, warum sie denn so hieße, schlagfertig geantwortet, dass sie halt eben so milchig aussehe. Der Kleine ist super.
Um die zweite Frage beantworten zu können, schauen wir uns die Milchstraße mal aus einem anderen Winkel an
Im linken Drittel des Bildes finden sich zwei größere Gebilde am Firmament. Während mein Kommilitone und ich (die übrigens als einzige aus unserem Fachbereich – der die Vorlesung veranstaltet – anwesend waren) noch über die komischen Wolken diskutierten, rief das übrige Publikum einstimmig, dass diese die große und die kleine magellansche Wolke sind. Zwei Begleitgalaxien unserer schönen Milchstraße. Die Frage, warum besagte Galaxien eigentlich keine Spiralgalaxien, ähnlich unserer Milchstraße sind, wurde nicht beantwortet, denn es gab dringendere Probleme zu klären.
Vorher gab es aber eine kleine Anekdote: Während eines Aufenthalts einiger Hobbyastronomen (Namen sind dem Autor bekannt, damit sie ihn aber nicht hassen und mit Teleskopen vermöbeln, schweigt er lieber) in Namibia, wurde jeden Abend ein Mann abgestellt, der den Himmel beobachtet und auf Lücken in der Wolkendecke wartet, während die anderen in der Hütte sitzen. Besagter Ausguck schaut regelmäßig rein und berichtet davon, dass der Himmel noch immer nicht frei sei. Irgendwann zieht es ein weiteres Gruppenmitglied vor die Tür, welches sogleich die restliche Truppe Alarmiert, da der Himmel schon die ganze Zeit wolkenfrei ist. Dem Späher ist dies entgangen, da er die magellanschen Wolken versehentlich für genau das gehalten hat: Wolken.
Und die Moral von der Geschicht? Wenn du willst dass es gut gemacht wird, mach es selbst.
Aber zurück zur großen magellanschen Wolke. Diese strahlt nämlich merkwürdigerweise in rot und blau.
Und während mein Kommilitone und ich wieder fleißig diskutieren und mit Begriffen wie dem Doppler-Effekt um uns werfen, tönt es aus der anderen Ecke des Raumes in einem selbstsicheren Kanon, dass es selbstverständlich Temperatureffekte sind. In diesem Moment fällt natürlich auch bei uns der Groschen und wir beginnen zu erklären, dass die Temperatur eines Moleküls auch etwas über seine Energie aussagt. Und natürlich sagt es auch etwas über die Energie aus, die das Licht hat, das aus dieser Gaswolke strahlt. In diesem Fall hat das Licht aufgrund der hohen Energie eine hohe Frequenz (also eine kurze Wellenlänge), die unsere Augen als blaues Licht wahrnehmen. Gleichermaßen stellen die roten Wolken die Bereiche der Galaxie dar, in denen die Temperaturen nicht so hoch sind. Dort betragen sie lediglich rund 6000° Kelvin, also nur 5700° Celsius. Im Vergleich zu den blauen Regionen, in denen die Temperatur zwischen 9700° und 99700° Celsius (10.000-100.000° Kelvin) liegen kann, sind die roten Wolken quasi tiefgefroren.
Während wir also noch fleißig dabei sind, unsere Idee zu ordnen, um sie gleich verbalisieren zu können, meldet sich der Neunjährige und beantwortet die Frage, woher man denn wisse, dass die blauen Bereiche so heiß sind, mit einem entspannten: „Na bei einer Kerze ist ja auch der blaue Teil ganz unten der heißeste und der rote Teil ist nicht so heiß.“
Wir wurden tatsächlich von einem Neunjährigen gnadenlos an die Wand argumentiert. Ich bin jetzt noch beeindruckt und hoffe, dass er in den nächsten Wochen regelmäßiger Gast der Veranstaltung wird.
Jetzt stellt sich aber eine große Frage: Warum ist nur die Wolke bunt gefärbt? Wieso sind nicht auch die umliegenden Sterne blau oder rot? Selbstsicher diskutiere ich mit meinem Kommilitonen wieder, dass es sich hierbei vielleicht um den Doppereffekt handelt, während im Publikum zur Abwechslung auch mal Ratlosigkeit herrscht. Es werden verschiedene Hypothesen präsentiert (unter anderem auch unsere), die dann zeitnah als falsch abgestempelt werden. Die Antwort ist so einfach wie ernüchternd:
Weil unsere Augen darauf nicht ausgelegt sind. Wir haben nicht die Kapazitäten, um Minutenlang das Licht aus einem Stern auf unsere Netzhaut fallen zu lassen und aus diesem Licht dann noch die entsprechende Farbe herauszusehen. Die Sterne befinden sich in einer gigantischen Entfernung zu uns und alles was wir sehen, ist weiß. Die Wolken leuchten deswegen so, weil Wissenschaftler die Temperaturen der Wolken messen und anhand dieser Ergebnisse die Bereiche auf den veröffentlichten Bildern entsprechend einfärben.
Hobbyfotografen können ja mal an einem manuellen Weißabgleich versuchen, besagten Effekt nachzustellen.
Hier ein Artikel von Spon, zum Weiterlesen
Da wir am Anfang der Veranstaltung relativ viel Organisatorisches zu klären hatten (unter anderem, wie wir an unsere Creditpoints kommen, da es in der Veranstaltung per se eigentlich keine Leistungsnachweise gibt), war dies bereits das Ende des Abends. Aber dieser vielversprechende Einstieg hat definitiv Lust auf mehr gemacht und ich kann den nächsten Donnerstag kaum erwarten!
P.S.: Die nächsten Tagebucheinträge kommen nun immer Samstags online. Ich konnte nicht mehr abwarten und habe mich deshalb entschieden, den ersten Teil jetzt schon zu veröffentlichen.