Nachdem die USA ihre Schäfchen ins trockene gebracht haben, spielt sich die US-Regierung unter Biden wieder als Retter der Welt auf. Ein Kommentar
Unter der US-Regierung von Donald Trump wurde die Operation „Warp Speed“ ins Leben gerufen, die sicherstellen sollte, dass die US-Bevölkerung zügig und ausreichend mit Impfstoffen versorgt werden sollte. Dafür war Trump jedes Mittel recht. In aller Kürze lässt sich das Maßnahmenpaket auf einen Satz herunterbrechen: US-Unternehmen müssen die Verträge mit den USA erfüllen und dürfen erst danach Impfstoffe ins Ausland exportieren. Um diese Verträge zu erfüllen, ist es allerdings ebenfalls nötig, die entsprechenden Rohstoffe vorrätig zu halten – was einem Exportverbot gleichkommt. Unter der neuen Regierung von Joe Biden wurde dieses Konzept weiterverfolgt, was in einer Impfquote von 33% der Bevölkerung resultierte. Betrachtet man die Impfquote speziell bei Erwachsenen liegt die Zahl der erstgeimpften sogar bei über 50%, allerdings wird die Zahl der Erstimpfungen von Tag zu Tag geringer. Und auch wenn die Idee der Herdenimmunität durch Impfungen in den USA deshalb langsam aber sicher in weite Ferne rückt, zeigten sich die USA bisher eher unwillig, die Millionen Impfdosen zu teilen, die sie erworben haben.
Im April bekräftigte Biden noch, dass die USA mit Impfstoffen „Überversorgt“ sein wollen. Letztes Jahr sicherten sich die Amerikaner dafür 300 Millionen Dosen des AstraZeneca-Impfstoffes, der bis heute noch nicht in den USA zugelassen ist. Diese Überversorgung scheint, nicht zuletzt durch die 100 Millionen Impfdosen von Johnson & Johnson, endgültig gesichert zu sein, die die USA bis Ende des Jahres kaufen. Der J&J Impfstoff benötigt, anders als die aktuellen Impfstoffe auf dem Markt, nur eine einzige Dosis bis zur vollen Wirksamkeit.
Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass die USA auf absehbare Zeit keinerlei Impfstoffknappheit zu fürchten haben. Diese privilegierte Position hat sich die USA erkauft, indem sie die Impfstoffproduktion weltweit erschwert hat, was auch der Curevac-Vorsitzende Franz-Werner Haas beklagt.
Behält man dieses US-Embargo im Hinterkopf, klingt der neue Einwurf der amerikanischen Regierung umso perfider. Jetzt, wo die USA nicht mehr wissen wohin mit ihren Impfstoffen, zeigen sie sich gegenüber der Idee großmütig, auch anderen Ländern Zugang zur Impfstoffproduktion zu gewähren. Dass die Rohstoffe weiterhin in Händen der USA bleiben, bis alle vertraglichen Verpflichtungen erfüllt wurden, wird dabei geflissentlich ignoriert.
Patente sind nicht das Problem
Einer der Gründe, die vorgebracht werden, um die Aussetzung des Patentrechts zu rechtfertigen, ist die Katastrophe, die sich zur Zeit in Indien abspielt. Täglich ist dort von neuen Todeszahlen zu hören, jede höher als am Tag davor. Am 5.5. wurden beinahe 4000 Todesfälle gemeldet. 200 mehr als am Vortag. Tendenz steigend, das indische Gesundheitssystem ist längst kollabiert.
Und mitten in dieser humanitären Katastrophe soll es ausgerechnet das Patentrecht sein, das zwischen den sterbenden Menschen und dem Ende der Pandemie steht? Es ist ein wenig komplizierter als das.
Gerade die Zusammensetzung der RNA-Impfstoffe erfordert nicht nur spezielle Geräte und garantiert niedrige Temperaturen; besonders die Mikrofluidik, die zur Herstellung der Lipidpartikel eingesetzt wird, ist eine neue Technologie, für die weltweit nur eine sehr geringe Expertise besteht. Es müssen also nicht nur völlig neue Anlagen gebaut oder bestehende Anlagen erweitert werden, es müsste auch ein Technologietransfer stattfinden, um die Anlagen sicher betreiben zu können. Setzt man konservativ dieselbe Zeit an, die BioNTech benötigt hat, um die Anlage in Marburg in Betrieb zu nehmen, wird dieses Jahr in Indien kein RNA-Impfstoff produziert.
Das ist auch nicht nötig. Denn was in dieser Debatte häufig vergessen wird, ist die Tatsache, dass Indien selbst einen Impfstoff gegen Corona produziert. Es ist der AstraZeneca-Impfstoff, der in Indien unter dem Namen Covishield produziert wird und bis vor kurzem auch in Nachbarländer exportiert wurde.
Anstatt also völlig neue Impfstoffe in Anlagen zu produzieren, die im Moment noch gar nicht existieren, und nebenbei das Patentrecht auszuhebeln, was lediglich garantiert, dass auf absehbare Zeit noch mehr pharmazeutische Expertise auf den asiatischen Kontinent ausgelagert wird, ist die Lösung um einiges naheliegender:
Die USA müssen ihr Exportembargo beenden und der Welt die Rohstoffe zur Verfügung stellen, die auch in Indien zur Produktion ihrer eigenen Impfstoffe benötigt werden. Außerdem muss die westliche Welt direkt in Indien eingreifen und die medizinische Versorgung im Land unterstützen, damit Menschen nicht an zu wenig Sauerstoff auf der Straße krepieren.
Das Patentrecht aufzuweichen, während weltweit die Rohstoffe zur Herstellung knappgehalten werden, sorgt lediglich für noch härtere Verteilungskämpfe, aber nicht für eine einzige weitere Impfdosis. Dass die Produktion des Impfstoffes eigentlich das größte Problem ist und das Patentrecht hier nur eine untergeordnete Rolle spielt, scheint auch im weißen Haus angekommen zu sein. Ob der Einwand gehört wird, ist allerdings fraglich.
Mittlerweile haben die USA damit begonnen, Millionen Dosen ihres gehorteten AstraZeneca-Impfstoffs an ihre Nachbarländer zu verschenken. Die nächste Lieferung muss dringend nach Indien gehen. Damit ist die Katastrophe schneller gelindert, als durch monatelange Verhandlungen über die Frage, ob Patente freigegeben werden.