Sollte die SPD-Basis tatsächlich ihr diabolisches Vergnügen daraus ziehen, ihrer geliebten Partei das Messer ins Herz zu stoßen – sprich, einer großen Koalition zuzustimmen – dürfte Anja Karliczek die zukünftige Ministerin für Forschung und Bildung werden.
Schaut man sich ihren bisherigen Werdegang an, ist dies sicher eine beeindruckende Leistung – erst eine Lehre zur Bankkauffrau, anschließend eine Ausbildung zur Hotelfachfrau, die bald das Vier-Sterne-Hotel ihrer Familie im Teutoburger Wald leiten durfte, gekrönt von einem Fernstudium in Betriebswirtschaftslehre. Das alles, während sie drei Kinder alleine großzog.
Allerdings fällt dem geneigten Leser vielleicht auf, dass ihre wissenschaftliche Karriere trotz ihres Studiums zu wünschen übrig lässt. Nun ist es mit Sicherheit nichts Besonderes, fachfremde Politiker in Ministerien ruhigzustellen, schaut man sich allerdings Johanna Wanka, die momentane Ministerin für Bildung und Forschung an – Professorin, Mathematikerin, Hochschulrektorin, Landeswissenschaftsministerin – so hatte man doch die Hoffnung, dass unsere Bundeskanzlerin (und promovierte Physikerin) den Stellenwert einer anständigen Wissenschaftsministerin erkannt habe.
Nun lässt die neueste Personalentscheidung an dieser Sicht auf die Wissenschaft zweifeln, denn Karliczek ist bisher nur durch völlige Abwesenheit in diesem Sektor aufgefallen. Eine Außenseiterin könnte sicherlich frischen Wind in das Ministerium bringen, aber um die Probleme in den Bereichen der Bildung und Forschung zu erkennen und zu lösen, bräuchte es vermutlich eine Person vom Fach:
Ohne Abitur ist dein Leben vorbei, bevor es begonnen hat
Ein großes Problem das sich in den letzten Jahren entwickelt hat, ist die Unart, jedes Kind durch das Abitur zu peitschen, unabhängig von der individuellen Einstellung sowie den intellektuellen Fähigkeiten des Kindes. Aus Angst, dass die Kinder ohne Abitur in dieser Welt abgehängt seien und ihr Leben in Hartz4 verbringen müssen, werden alternative Bildungswege wie das Fachabitur oder der Meister komplett vergessen und ein schwaches Abitur einem starken Realschulabschluss vorgezogen. Dabei würden gerade viele Jungs davon profitieren, wenn sie nach 10 Jahren Schule in eine Ausbildung starten und dabei reifen können, um anschließend als junge Erwachsene ihren Weg zu gehen.
Ich bin selbst jemand, der vermutlich von einer Ausbildung vor dem Studium mehr profitiert hätte und reifer in ein
Studium gegangen wäre.
Ich war damals auf ’ner Realschule. Anschließend hab‘ ich mein Fachabi in Informatik gemacht und jetzt werde ich Ingenieur.
Wer das Gymnasium als alternativlos darstellt, hat offensichtlich kein Vertrauen, dass seine Kinder sich Dinge auch ohne Abitur erarbeiten können. https://t.co/EXgGEAMAAo
— Nullius in Verba (@NiemandesWorte) 28. Januar 2018
Aber das Abitur alleine genügt natürlich noch nicht. Es muss das Abitur nach 12 Jahren Schule sein, nicht nach 13. Anschließend wird ein Studium dahintergeklemmt, das bitte in 3,5 Jahren abgeschlossen wird. Die persönliche Entwicklung die in dieser Zeit stattfinden soll, wird hintenangestellt, um schnell und billig qualifizierte Facharbeiter für die Industrie auszubilden.
Kein Abi für sozialschwache Kinder
Aber trotz des Abitur-Wahnsinns macht längst nicht jedes Kind Abitur. Insbesondere Kinder aus einkommensschwachen Haushalten machen noch immer signifikant seltener Abitur, als Kinder aus Akademikerhaushalten. Die Gründe dafür sind vielfältig und sicher nicht alle durch die zukünftige Bildungsministerin zu lösen. Aber mehr Geld für Schulen und eine besserer Aufstellung im Bereich der Förderung von Schülern aus sozial schwachen Verhältnissen durch z.B. kostenlose Betreuungs- und Nachhilfeangebote fallen definitiv in diesen Aufgabenbereich. Dass die Regierung hier nachbessern möchte, hat sie bereits durch das geplante zwei Milliarden Paket für eine umfassendere Ganztagsbetreuung klargemacht. Nun gilt es, dieses Geld richtig einzusetzen um den Schülern zu helfen.
Was ist mit Wissenschaft?
Während ich bei den Problemen der Bildung und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen die Chance sehe, dass unsere designierte Bildungsministerin hier einen guten Job machen wird, bin ich mir im Hinblick auf die Situation an Universitäten und Forschungseinrichtungen nicht so sicher. Das liegt nicht einmal besonders an der Person von Anja Karliczek, sondern mehr an der Wahrnehmung der Wissenschaft in der Öffentlichkeit. Insbesondere die Position der Doktoranden ist nach wie vor prekär. Das 2016 in Kraft getretene Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat die Situation entspannt, allerdings sind einige Probleme nach wie vor vorhanden. Aber dazu gleich mehr.
Ein anderes Problem ist viel dringender. Deutschland verachtet die Wissenschaft. Das ist so. Wissenschaft ist nur nützlich, wenn sie in die eigene, politische Agenda passt. Abgesehen davon kann man in Deutschland offen zugeben, von Wissenschaft oder Mathematik nicht die geringste Ahnung zu haben.
Dioxin, Feinstaub, Detox, Friponil, Glyphosat, Grippeimpfungen, egal um welches Thema es geht, die Leute wollen Wissenschaft nur dann in ihrem Leben, wenn sie ihre Vorstellungen bestätigt. Niemand will Wissenschaftler sagen hören, dass Chemie im Essen und Stickoxide in der Luft nicht gefährlich sind. Wer uns in dieser Angst nicht bestärken will, der erhält auch gerne mal Morddrohungen.
Wissenschaftskommunikation in der Postmoderne
Woher diese Ablehnung kommt, ist ungewiss. Befeuert wird sie allerdings gerade durch die „intellektuellen“ Vertreter der Postmoderne. Diese ignorieren den Umstand, dass sich durch die wissenschaftliche Methode objektive Beschreibungen der Welt ergeben können, konsequent und stellen gleichzeitig so ziemlich alle Institutionen in Frage (Stichwort Patriachat und die Herrschaft irgendeiner angeblichen Elite). Diese linke Strömung findet seit der Nachkriegszeit vermehrt Anhänger und insbesondere die politische Linke schließt sich gerne dem Postmodernismus an. Das Narrativ ist dabei denkbar einfach: Geld regiert die Welt und jeder Wissenschaftler der sich nicht der Hysterie anschließt, muss gekauft sein. Unser Landwirtschaftsminister kann davon ja ein Lied singen.
In diesem Umfeld hat es die Wissenschaft nicht einfach. Und dennoch ist gerade jetzt die Kommunikation wichtiger als je zu vor. Leider ist das Interesse wissenschaftlicher Institutionen an Kommunikation mit der Öffentlichkeit nach wie vor gering. Es muss mehr Forscher geben, die über ihre Forschung in der Öffentlichkeit berichten. Wissenschaftler müssen aus ihren Instituten raus und in der Öffentlichkeit bekannt werden. Man muss die Gesellschaft einbeziehen und ihnen die Spielregeln der Wissenschaft näher bringen. Dieses Kunststück zu schaffen, ist sicher auch eine der zukünftigen Aufgaben für Anja Karliczek.
Forschung als Innovation in die Zukunft
Obwohl in Deutschland eine Form der Forschungskooperation stattfindet, von der andere Länder träumen, sind wir im Bereich der Spitzen- und Zukunftstechnologie abgehängt. Wir diskutieren über die Digitalisierung als sei es ein Thema, das uns erst in 10 Jahren erwartet, während die Digitalisierung in anderen Ländern unmittelbar vor ihrem Höhepunkt steht. Peter Altmaier sprach vor einigen Tagen bei Maybritt Illner darüber, dass wir den Wettlauf aufnehmen müssen, damit auch Deutschland ein digitaler Standort wird. Es gibt nur leider keinen solchen Wettlauf mehr. Den gab es mal vor rund 20 Jahren. Die ersten Länder sind nur noch ein paar Meter von der Ziellinie entfernt, während wir völlig verkatert den Startschuss überhören und in einen Jutebeutel steigen, weil wir glauben, wir seien beim Sackhüpfen.
Während wir uns noch an der Digitalisierung versuchen, steht mit der Biotechnologie schon die nächste große Veränderung unserer Welt bevor. In Zukunft wird es nicht mehr um die Digitalisierung gehen, es werden Biotechnologen sein, die bahnbrechende Erfindungen machen und unsere Welt verändern. Personalisierte Medizin, individuelle Therapien gegen alle möglichen Krankheiten, der Einsatz von Nanotechnologie und Gentechnik werden neue Debatten nötig machen. Mit besseren Prothesen, Gehirnimplantaten und künstlichen Organen wird eine neue Form der individuellen Freiheit möglich sein, die es vorher nie gegeben hat.
Ja, das ist Zukunftsmusik. Das war die Digitalisierung aber auch mal. Und der Zeitpunkt, an dem Technologien noch Zukunftsmusik sind, ist der perfekte Zeitpunkt, die richtungsweisenden Debatten und Maßnahmen anzustoßen.
Das könnte unsere letzte Chance sein, noch Teil der internationalen Spitzenforschung zu werden. Denn der Zug in allen anderen Zukunftsthemen ist abgefahren. Die Forschung an sicheren Kernreaktoren findet längst außerhalb Europas statt. Genau wie jede Forschung die mit genetisch veränderten Pflanzen zu tun hat. Die Digitalisierung fand ebenfalls weitestgehend frei von deutschen Interessen statt und lediglich in der Zukunft der Automobiltechnik sind wir nach wie vor gut aufgestellt. Obwohl auch hier die Konkurrenz aus dem Ausland stärker geworden ist.
Ohne Doktoranden keine Forschung
Auf unsere Ministerin kommen also einige schwere Aufgaben zu. Sie muss die gesellschaftliche Debatte mit der Wissenschaft anfeuern und dafür sorgen, dass die Herausforderungen von morgen schon heute auf unserem Radar sind. Diese Aufgabe wird allerdings erschwert, wenn uns die Fachkräfte wegrennen, weil sie in diesem Land nicht anständig forschen können. Nun hat die Regierung zwar vor zwei Jahren das Wissenschafzszeitvertragsgesetz auf den Weg gebracht, aber das entspannt die Situation auch nur unwesentlich. Doktoranden dürften während ihrer Promotion 6 Jahre befristet angestellt werden. Diese Vertragslaufzeit soll „der angestrebten Qualifizierung“ angemessen sein. Sollte der Doktorand früher mit seiner Forschungsarbeit fertig werden, darf der Vertrag auch schon früher auslaufen. Sollte die Forschungsstelle durch Drittmittel finanziert werden, darf der Arbeitsvertrag auch gerne kürzer laufen, dann entsprechend des Bewilligungszeitraums der Drittmittel.
Promovierte Wissenschaftler dürfen dann erneut bis zu 6 Jahre befristet eingestellt werden. Gemeinsam mit der Promotion kommen wir hier also auf bis zu 12 Jahre, in denen Wissenschaftler hier befristet arbeiten müssen. Um diesem Trend entgegenzusteuern wurden 1000 sogenannte „Tenure-Track-Professuren“ geschaffen, die – sofern die angehenden Professoren gute Arbeit leisten – nach 6 Jahren in eine Lebenszeitprofessur umgewandelt werden. Finanziert werden diese Stellen vom Bund mit einer Milliarde Euro in den ersten sechs Jahren. Danach gibt es eine zweijährige Übergangsfrist und anschließend werden diese Stellen von den Ländern weiterfinanziert. Bis zum Jahr 2032 sollen so die tausend neuen Stellen geschaffen werden.
Die Zahl der Stellen sei allerdings nicht ausreichend, sagen sowohl der Wissenschaftsrat, als auch die Hochschulkonferenz und der Hochschulverband. Sie fordern zwischen 3000 und 7500 solcher Stellen, was den Bund zu einer Investition von rund 5 Milliarden Euro zwingen würde.
Und somit haben wir eine weitere Aufgabe, vor der die angehende Ministerin steht. Wie ich eingangs schrieb, bleibt abzuwarten, inwieweit sie ihre Aufgabe erfüllen wird und ob sie als Fachfremde frischen Wind oder grenzenloses Chaos in das Ministerium bringen wird.