Ohne mich ist mein Oszilloskop nutzlos! Ohne mein Oszilloskop bin auch ich nutzlos!

Nachdem ich im letzten Jahr über einen Versuch aus dem Physiklabor geschrieben habe, geht es heute mal um ein Gerät, das ich im Labor kennengelernt habe und mit dem mich eine Hassliebe verbindet, wie ich sie sonst nur von sehr, sehr scharfem Essen kenne.
Ich wünschte, ich könnte eine andere, wissenschaftliche Arbeit meinerseits präsentieren. Meine wissenschaftliche Karriere beschränkt sich zurzeit leider noch immer ausschließlich auf diese Laborversuche, sowie eine Langzeitstudie, in der ich rausfinden will, ob ein Leben auf Basis von Coffein und Tiefkühlpizza möglich ist.

Aber genug von mir. Reden wir lieber über das Gerät, um das es heute gehen soll. Nämlich um ein Oszilloskop. Genauer: Ein analoges Oszilloskop (wer sein Oszilloskop liebt, nennt es auch gerne „Oszi“. Oder Helena). Die Dinger gibt es mittlerweile auch als digitale Variante, welche die analogen Oszilloskope praktisch vollständig vom Markt verdrängt haben.

„Tektronix 465 Oscilloscope“ von Elborgo - Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY 3.0 über Wikimedia Commons
„Tektronix 465 Oscilloscope“ von Elborgo – Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY 3.0 über Wikimedia Commons

Wunderschön und so analog! Der Mittelpunkt meines Textes.

Man benutzt Oszilloskope, um elektrische Spannungen im Verlauf einer Zeit zu messen, damit sind Oszilloskope in der Elektrotechnik Messgeräte, ohne die eigentlich gar nix geht.
Kernstück des Oszilloskops ist die sogenannte „Kathodenstrahlröhre“, die 1897 vom Physiker und Nobelpreisträger Karl Ferdinand Braun entwickelt wurde und deshalb auch „Braun’sche Röhre“ heißt (und nicht „Brown’sche Röhre“, wie ich lange Zeit annahm…).
Ich persönlich würde die Leistung eines weiteren Mannes als beinahe bedeutender anrechnen. 1906 hatte Max Dieckmann nämlich die großartige Idee, diese Kathodenstrahlröhre als Bildgeber für Röhrenfernseher zu verwenden. Dafür liebe ich ihn. Um zu verstehen, wie eine Kathodenstrahlröhre (und damit auch ein Oszilloskop, bzw. ein Fernseher) funktioniert, versetzen wir uns mal in die Lage eines jungen, ambitionierten Elektrons, das seinen Weg durch diese Röhre antritt:

„Cathode ray tube de“ von FischX,Interiot, Raster:Theresa Knott Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons
„Cathode ray tube de“ von FischX,Interiot, Raster:Theresa Knott Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons

Seinen Weg beginnt das Elektron in dem, was im obigen Bild salopp als „Heizung“ bezeichnet wird. Genauer gesagt, handelt es sich bei der „Heizung“ um eine sogenannte „Glühkathode“. Das „Steuergitter“ drum herum, wird auch als „Wehneltzylinder“ bezeichnet. Die Glühkathode ist im Prinzip nichts anderes als ein aufgewickelter Draht, durch den Elektronen fließen, sobald man sie unter Strom setzt, also sobald man das Gerät einschaltet. Dabei beginnt der Draht übrigens auch extrem hell zu glühen (ich würde euch übrigens nicht empfehlen, dabei absichtlich in diese Kathode zu schauen. Ich würde euch auch nicht empfehlen, versehentlich in diese Kathode zu schauen. Ich würde euch auch nicht empfehlen, eure Kleidung am Körper zu bügeln).
Man könnte das Prinzip fast mit einer Glühbirne vergleichen. Nur mit einem Unterschied: Die Glühkathode wird auf mehrere hundert Grad aufgeheizt, was den Elektronen genügend Energie zur Verfügung stellt, um den Draht zu verlassen (es gibt auch Glühkathoden, die mit einem Gas gefüllt sind, welches durch die hohe Energie ionisiert wird, kommt aber am Ende auf’s gleiche raus), diese Elektronen bezeichnet man dann auch als „freie“ Elektronen. Und wer es genauer wissen will: Die Mindesttemperatur zur Erzeugung dieser freien Elektronen beträgt rund 627°C und die Auslösearbeit für Elektronen liegt zwischen 1 und 6 eV (also zumindest, falls ich meine Handschrift korrekt dechiffriert hab).
Jetzt gibt es da aber ein kleines Problem. Die Elektronen treten ja nicht an einer bestimmten Stelle aus, sondern überall dort, wo sie gerade lustig sind. Bis man da mal ein Elektron hat, das in die gewünschte Richtung, also in Richtung Bildschirm, fliegt, muss man schon Geduld mitbringen. Ein anständiges Bild bekommt man so natürlich nicht.

An diesem Punkt kommt der Wehneltzylinder ins Spiel. Der ist nämlich wie eine Kuchenhaube über die Glühkathode gestülpt und umschließt sie komplett. Naja, fast komplett. Sie hat eine donutförmige Öffnung, durch die unser Elektron ausdringen kann.

„Donut“. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons -
„Donut“. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons –

Oh ja, so lecker kann Wissenschaft sein!
Elektronen sind ja bekanntlich negativ geladen. Der Wehneltzylinder ist ebenfalls negativ geladen. Da sich gleiche Ladungen ja abstoßen, kann unser Elektron den Zylinder nur an einem Ort verlassen. Nämlich exakt in der Mitte der Öffnung. Dort ist der Abstand zwischen Elektronen und dem Zylinder am größten.

Die nächste Station unseres Elektrons ist eine sogenannte „Fokussierelektrode“ (die oben auf der Grafik nicht abgebildet ist), die den Elektronenstrahl jetzt mal richtig schön scharf machen soll. Und da Elektroden meistens im Doppelpack auftauchen, gibt es auch direkt die Anode dazu. Im Prinzip funktionieren die beiden genau, wie das Dreamteam, bestehend aus der Glühkathode und dem Wehneltzylinder. Sie sehen auch ähnlich aus. Die Fokussierelektrode ist zylinderförmig mit einem Loch in der Mitte, die Anode sieht eher aus, wie eine Scheibe mit meinem Loch in der Mitte. Beide sind positiv geladen.
Die Fokussierelektrode und die dazugehörige Anode sollen den Elektronenstrahl fokussieren. Dazu legt man dort ebenfalls wieder eine elektrische Spannung an, und kann durch Variation dieser Spannung den Fleck auf dem Bildschirm scharf stellen. Die Anode spielt in diesem Fall eine entscheidende Rolle als Beschleuniger. Sie verpasst den Elektronen nochmal einen netten, kleinen Geschwindigkeitsschub.

Unser Elektronenstrahl ist jetzt also scharf, gebündelt und bereit zum Einsatz. Dummerweise haben wir noch gar kein Signal gemessen. Wir haben auch keine bewegten Linien auf dem Schirm, sondern lediglich einen hübschen, scharfen Punkt.
Bringen wir also ein wenig Leben in die Bude.

Wir schicken unseren Elektronenstrahl nämlich durch die Ablenkplatten und bringen somit ein wenig groove in die Sache.
Die Ablenkplatten dienen dazu, den Strahl in X- bzw Y-Richtung (also horizontal, bzw. vertikal) abzulenken. Die Platten bestehen aus Metall und sind jeweils paarweise parallel zueinander angeordnet. Und hier kommen jetzt zum ersten Mal die Messwerte ins Spiel, für die wir so ein Oszilloskop überhaupt ausgepackt und angeschlossen haben. Wir haben ja gesagt, dass mit einem Oszilloskop elektrische Spannungen gemessen werden. Legt man diese Spannung auf die Ablenkplatten an, so wirkt auf die Elektronen, die sich zwischen den Platten bewegen, eine Kraft, die proportional zu dieser Spannung ist.
Einfacher formuliert heißt das, wenn z.B. die oben angebrachte Platte ein positives Potenzial anliegen hat, wird der Elektronenstrahl also von der Bildschirmmitte nach oben abgelenkt. Oder halt umgekehrt. Wir können unser Signal also mittlerweile nach oben und unten bewegen. Großartig. Aber so wirklich weiter bringt uns das nicht. Denn im Moment haben wir trotzdem nur einen Punkt, der auf dem Bildschirm hoch und runter saust. Als würde man einen Laserpointer vor einer Katze bewegen. Also ungefähr so:

Das Video hat nichts mit dem Text zu tun, ich wollte nur die Stimmung ein wenig auflockern und euch davon ablenken, dass wir uns ein wenig von der obigen, schematischen Darstellung einer Kathodenstrahlröhre entfernt haben. Aber das macht nichts, wir sind ohnehin fast am Ende des Weges angekommen.

Wir haben bisher den Elektronenstrahl lediglich vertikal abgelenkt. Die Gelehrten unter euch werden wissen, dass so eine Ablenkung alleine nicht viel taugt, wenn man nicht sehen kann, über welchen Zeitraum dieses Signal verändert wurde. Wir wollen also eine Linie, die sich nicht nur vertikal, sondern auch horizontal über den Bildschirm bewegt. Aber wie bringt man jetzt einen Punkt auf dem Bildschirm dazu, sich wie eine Linie zu verhalten? Naja, man hat da zwei Möglichkeiten.
Man kann entweder den Punkt mittels einer weiteren Spannungsquelle horizontal ablenken (was auch meistens genauso passiert). Die Tatsache, dass auf dem Bildschirm eine fluoreszierende Schicht aufgebracht ist, sorgt dafür, dass die entsprechend angeregten Stellen des Bildschirms nachleuchten.
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Der Nachteil daran ist, dass der Bildpunkt immer von links nach rechts läuft, dann zurück nach links springt und die ganze Prozedur von vorne beginnt. Bei dem Herzschlag da, fällt das gar nicht groß auf. Wenn wir aber sowas hier haben

By Geek3 (Own work) CC BY 3.0
By Geek3 (Own work) CC BY 3.0

bemerkt man relativ schnell, dass der Bildpunkt von einer Seite zur anderen Springt. Man merkt es in erster Linie daran, dass die Linien relativ willkürlich beginnen. Es ist vergleichbar mit einem Seil, das man an einem Ende festhält und am anderen Ende wild hin und her schwingen lässt. Kontraproduktiv ist das in erster Linie dann, wenn man ein stehendes Bild abbilden will, um z.B. eine Frequenz zu bestimmen. Dafür stellt man am Oszilloskop eine sogenannte „Triggerspannung“ ein. Um es kurz zu machen: Mittels der Triggerspannung sorgt man dafür, dass der Bildpunkt vom rechten Rand nach links hüpft und genau dort beginnt, wo er beim letzten Durchgang ebenfalls begonnen hat. Dadurch, dass das gemessene Signal periodisch verläuft, erweckt es den Anschein, dass auf dem Bildschirm ein fixes Bild einer stehenden Welle zu sehen ist.

Nehmen wir also noch ein letztes Bild in Augenschein, um den Aufbau der Röhre des Oszilloskops genau nachvollziehen zu können

„Oszilloskopschema“ von Honina at de.wikipedia - Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons
„Oszilloskopschema“ von Honina at de.wikipedia – Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons

Die grauen Kästen sind die externen Spannungsquellen. Von oben nach oben sehen wir die Betriebsspannung, die aus der Steckdose kommt und die Elektronen fliegen lässt. In der Mitte findet sich das extern gemessene Signal, das den Bildpunkt vertikal flitzen lässt. Und der untere graue Kasten ist die Sägezahnspannung, also die Spannung, die den Punkt horizontal über den Bildschirm schickt.

Ich war ja schon beim letzten Mal so fasziniert von einem augenscheinlich unscheinbaren Gerät, in dem am Ende trotzdem so viel Wissenschaft steckt. Kein Wunder also, dass es mir Oszilloskope auch ein klein wenig angetan haben. Zumindest, solange ich sie nicht einstellen muss.
Wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet, meine Pizza ist schon goldbraun.

In diesem Sinne:
Das hier ist mein Oszilloskop!
Es gibt viele andere, aber dies ist meins!
Mein Oszilloskop ist mein bester Freund! Es ist mein Leben!
Ich muss es meistern, wie ich mein Leben meistern muss!
Ohne mich ist mein Oszilloskop nutzlos! Ohne mein Oszilloskop bin auch ich nutzlos!
Mein Oszilloskop vermisst sich nie!
Ich muss genauer arbeiten als die Konkurrenz, denn sonst übertrumpft sie mich!
Ich muss sie übertrumpfen, bevor sie mich übertrumpfen! Das werde ich!
Vor Newton glaube ich und schwöre: Mein Oszilloskop und ich werden mein Labor verteidigen!
Wir sind die Bezwinger der Unwissenden!
Wir sind die Bewahrer des Wissens! Das schwöre ich!
Bis kein Unwissender mehr ist!
Nur Wahrheit!
Bazinga!

Und auch wenn es diese wunderbare Verabschiedung kaputt macht, hier noch ein wenig zu meiner Person: Mein Name ist Sebastian, ich studiere zurzeit physikalische Technik und besitze seit (ich glaube) April einen eigenen Blog, der unter der URL www.nulliusinverba.blockblogs.de zu erreichen ist.