Fake Science – das eigentliche Problem bleibt unangetastet

"Studies", by Erica Lynn. flickr.com CC BY-NC-ND 2.0
„Studies“, by Erica Lynn. flickr.com CC BY-NC-ND 2.0

 

Mehr als 5000 deutsche Wissenschaftler sollen ihre Forschung in sogenannten Raubjournalen veröffentlicht haben, die gegen eine Gebühr jede Studie ohne vorherige Prüfung veröffentlichen. Zumindest ergab das eine Recherche, an der unter anderem die Süddeutsche Zeitung, der WDR und der NDR beteiligt waren.

Raubjournale. Diesen Namen hat man sich im Zuge der momentanen Berichterstattung für wissenschaftliche Journale ausgedacht, die Forschungsarbeiten ohne jegliche Qualitätskontrolle veröffentlichen. Insbesondere auf das Peer Review wird verzichtet, ein Verfahren, das in namhaften Journalen gang und gäbe ist. Dabei wird eine Studie an einen Verlag geschickt, der sie in einem seiner Journale veröffentlichen soll. Dieser Verlag kontaktiert dann einige Wissenschaftler aus dem gleichen Fachgebiet, die sich die neue Studie anschauen und auf ihre Korrektheit prüfen sollen. Dabei wird unter anderem geschaut, ob die gemessenen Daten dem Effekt entsprechen, den der Wissenschaftler gefunden haben will. Anschließend senden die Gutachter ihre Kritik an die Autoren der Studie, die anschließend nachbessern. Sobald die Studie in den Augen der Gutachter dem Standard genügt, wird sie im entsprechenden Journal veröffentlicht.

Dieses System ist natürlich alles andere als perfekt. Beispielsweise gibt es so hochspezialisierte Fachgebiete, dass es beinahe unmöglich ist, Wissenschaftler zu Begutachtung zu finden, die über genügend Fachwissen verfügen. Und falls doch, dann kann es passieren, dass sich die Beteiligten untereinander kennen und ihre Beurteilung nicht mehr anonym und objektiv erfolgt, sondern von persönlichen Präferenzen getrieben wird.

Trotzdem ist die Expertise der Gutachter im Peer Review Verfahren der Goldstandard der Wissenschaft, was es natürlich umso schlimmer macht, wenn Journale dieses umgehen und Ergebnisse ungeprüft veröffentlichen.

Ein nicht existentes Problem

Solche Raubjournale, auch predatory journals genannt, sind den meisten Wissenschaftlern bekannt. Wer in der Forschung tätig ist, erhält Anfragen zur Veröffentlichung in diesen Journalen so regelmäßig, wie andere Leute Viagrawerbung. Deshalb verwundert es auch nicht, dass das Problem unter Wissenschaftlern nicht so groß ist, wie man angesichts der Berichterstattung glauben könnte. 2013 arbeiteten 8,5 von 1000 Deutschen in der Forschung. Geht man davon aus, dass diese Zahl ungefähr konstant geblieben ist und mittlerweile 80 Millionen Menschen in Deutschland leben, kommen wir auf eine Zahl von 680 000 Wissenschaftlern in Deutschland. Die 5000 Forscher die in solchen Journalen publiziert haben sollen, stellen also weniger als 1% aller aktiven deutschen Wissenschaftler.

Forschung, die in solchen Journalen veröffentlicht wird, muss natürlich nicht zwangsweise schlecht sein. Häufig sind es auch Ergebnisse die innerhalb einer Forschungsarbeit angefallen sind, die aber zu unbedeutend waren, um in namhaften Journalen veröffentlicht zu werden.
Aber natürlich findet man in Predatory Journals häufig Unsinn. Wenn jemand behauptet, er habe Einstein widerlegt, dann wird er natürlich in so einem Magazin veröffentlichen, weil ihn kein anderes haben will.

Nun ist das Problem also den Wissenschaftlern bekannt und nur ein kaum existenter Anteil dieser veröffentlicht in so einem Journal. Genau aus diesen Gründen wird die dort Veröffentlichte Forschung auch niemals einen großen Teil der Menschheit erreichen. Die meisten Arbeiten dort verhallen quasi ungehört, ungelesen und unzitiert.

Medien als Multiplikator

Ein weitaus größeres Problem stellen Medienhäuser dar, die jede Forschung veröffentlichen und den Außenseitern der wissenschaftlichen Gemeinde noch eine Stimme geben. Dementsprechend verstehe ich auch nicht, wieso sich ausgerechnet die Süddeutsche Zeitung und der WDR bei dieser „Investigativrecherche“ so hervortun. Immerhin darf Silvia Liebrich bei der SZ  seit Monaten Beiträge veröffentlichen, die mit richtiger Wissenschaft überhaupt nichts zu tun haben. Sie hat sich einen Namen als große Glyphosat-Gegnerin gemacht, unabhängig davon, was die wissenschaftlichen Fakten eigentlich zu ihrer Einstellung sagen. Selbst Christopher Portier, der fleischgewordene Interessenskonflikt, wird von ihr zitiert.

Auch die öffentlich-rechtlichen stehen diesem Problem in nichts nach. Der MDR veröffentlichte vor einigen Wochen einen Artikel, in dem offen Werbung für Impfgegner gemacht wurde. Letzte Woche kam dann ein Artikel, in dem eine Immunologin und ein Typ, der einen Stammtisch gegen Impfungen gegründet hat, ihre Argumente ohne jegliche Einordnung vorbringen konnten. Besagter Stammtischgründer ist übrigens auch Mitläufer bei Pegida (Patriotische Expertise gegen Immunisierung des Abendlandes). Diesen Artikel hat der MDR nach massiver Kritik korrigiert und ein „Interview“ mit Sven Engesser, Professor für Wissenschaftskommunikation, über das Problem der False Balance im Wissenschaftsjournalismus geführt.

Aber es geht noch weiter. Das Bundesumweltministerium finanziert den Verein Testbiotech mit 200 000 Euro und lässt sich gleichzeitig auch von diesem Beraten. Testbiotech bezeichnet sich selbst als Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie, vertritt aber ausschließlich Positionen gegen jegliche Form von Gentechnik, was auch erklärt, wieso sie von der Anti-Gentechnik-Stiftung Gekko, oder  der Gen-Ethischen Stiftung gefördert werden.
Zwischenzeitliches Highlight dieser Förderung ist dieses Video über CRISPR, das eindrücklich zeigt, was das eigentliche Ziel dieses Vereins ist:

Diese drei Beispiele sind nur ein verschwindend geringer Anteil an der wissenschaftlich fehlerhaften und von persönlichen Interessen durchzogenen Berichterstattung, die in so ziemlich jedem Medienhaus stattfindet.
Das große Problem hierbei ist, dass diese Artikel und Videos eine riesige Reichweite haben. Jeder Artikel erreicht sofort zehntausende oder hunderttausende Leser und meist bleiben solche Beiträge unwidersprochen im Netz stehen. Die Menschen haben Vertrauen in Journalisten, ihre Artikel werden weiter geteilt und haben damit einen gigantischen Anteil an der Einstellung der Leser zu wissenschaftlichen Themen.
Artikel aus Predatory Journals verschwinden hingegen meist ungelesen in Datenbanken und haben auf die wissenschaftliche Gemeinde quasi keinerlei Einfluss.

Wenn also investigativ über ein Problem berichtet werden soll, das einen riesigen Einfluss auf die wissenschaftliche Community und die Öffentlichkeit hat, dann sollten sich Rundfunk und Zeitungen an die eigene Nase fassen. Fake Science findet durch sie nämlich eine Verbreitung, von der Predatory Journals nur träumen können.
Alles was am Ende dieser Berichterstattung hängen bleibt, wird aber der Kampfbegriff der Fake Science sein, die Gegnern des Klimawandels, Impfungen oder Gentechnik nur noch ein Argument an die Hand gibt, sich nicht mit wissenschaftlichen Fakten befassen zu müssen.