Kein Marsch für Lyssenko. Eine Antwort an Peter Heller

Heute ist der große Tag gekommen. Überall versammeln sich Menschen um für die Wissenschaft auf die Straße zu gehen. Und das ist auch bitter nötig. Die Wissenschaftsfeindlichkeit hat in den letzten Jahren neue Dimensionen angenommen und gipfelt im neuen US-Präsidenten Donald Trump. Dessen Handhabe gegen staatlich finanzierte Einrichtungen wie die EPA, die unter anderem haufenweise Daten sammeln, die im Zusammenhang mit dem Klimawandel stehen, war auch die Initialzündung zum March for Science.
Natürlich hat so ein Event auch viele Kritiker auf den Plan gerufen und die Kenner der Wissenschaftsszene dürften auch schon über die ein oder andere Kritik gestolpert sein. Bisher habe ich aber noch keinen Kritiker gefunden, der so penetrant falsch gelegen hat, wie der Astrophysiker Peter Heller, der auf Tichyseinblick folgenden Artikel veröffentlicht hat: Ein Marsch für die Wissenschaft oder ein Marsch für Lyssenko?

Diese „Kritik“ will alles sein. Sie will das Konzept der Aktion angreifen, den menschgemachten Klimawandel kritisieren, sowie den Sinn und Zweck einer evidenzbasierten Politik angreifen.
Und damit lässt er sich auch nicht gerade viel Zeit, direkt in der Einleitung kritisiert er das Datum des Marsches, der am 22.April gleichzeitig auf den Earth Day fällt.

„Denn wer behauptet, mit Schlagworten wie Ressourcenknappheit, Artensterben, Überbevölkerung und „Klimakatastrophe“ umschriebene Zukunftsängste seien wissenschaftlich gerechtfertigt, dem geht es nicht um Aufklärung, sondern um die Instrumentalisierung der Forschung für die Dogmen des Ökologismus.“

Um das gleich vorweg zu nehmen, Überbevölkerung ist vermutlich tatsächlich gar kein Problem, aber dass der Mensch trotzdem einen Einfluss auf diese Welt ausübt, scheint Herrn Hell nicht geläufig zu sein. Alleine das Artensterben lässt sich bei vielen Tierarten auf einen direkten Einfluss des Menschen zurückführen, nicht auf die „Dogmen des Ökologismus“. Der Walfang den Japan jedes Jahr betreibt ist das beste Beispiel dafür. Nashörner und Elefanten, die entweder für ihre Stoßzähne oder „traditionelle“ Medizin getötet werden, sind genauso ein Punkt in der langen Liste, wie auch das Aussterben diverser Tierarten durch die Rodung riesiger Regenwaldflächen und das Einschleppen neuer Tierarten auf andere Kontinente, denen die einheimische Flora und Fauna nicht gewachsen waren.

Auch die Ressourcenknappheit lässt sich natürlich durch das Wirken der Menschheit erklären, könnte aber mit genau der evidenzbasierten Politik bekämpft werden, für die heute so viele Menschen auf die Straße gehen. Methoden wie die grüne Gentechnik könnten heute schon Mangelernährungen bekämpfen, Schädlings- und Wetterresistente Arten züchten, und natürlich den Ertrag von Pflanzen verbessern, um die Menschen zu ernähren, die bereits auf der Welt leben. Gemeinsam mit einer wirklich modernisierten Landwirtschaft könnte man sogar versuchen, einen Großteil des Nahrungsmittelbedarfs der Deutschen im Inland zu decken.

Der nächste Absatz des Textes leitet nahtlos zu den nächsten Dogmen über, denen die „linke“ Wissenschaftsszene kritiklos Glauben schenkt. Den Dogmen der Klimakatastrophe und des Treibhauseffekts. Es ist natürlich nur eine Vermutung, dass beides zusammenhängt und seinen Ursprung im Ausstoß von CO2 und Methan durch menschgemachte Technologien findet.
Gott, wie ich diese Debatte leid bin. Also mach‘ ich’s mal kurz:

Im nächsten Absatz schreibt der Autor folgendes

„Zur Klarstellung: Ja, ein Klimawandel existiert. […] Und ja, die Klimaforscher haben gegenwärtig keine andere Erklärung für diesen Vorgang als die Wirkung der durch menschliche Aktivitäten ausgestoßenen Treibhausgase.“

Wir haben nicht „gegenwärtig keine andere Erklärung…“, sondern haben Daten erhoben, die einen Zusammenhang zwischen dem Menschen und dem Klimawandel darstellen. Das ist ein signifikanter Unterschied und ich dachte, ein Astrophysiker weiß sowas.

„Parallel dazu gab es in den vergangenen Jahrzehnten in einigen Weltregionen (nicht in allen) mehr Hitze- und weniger Kältewellen. Das aber ist eine hinsichtlich der Lebenserwartung positive Entwicklung. Denn an Kälte sterben mehr Menschen als an Hitze.“

Wow. In welcher Welt zählt das bitte als Argument? Ich meine, ernsthaft? Es ist gut dass es wärmer wird, weil dann weniger Menschen an Kälte sterben? Ich bin mal gespannt wie das Argument aussieht, wenn extreme Dürreperioden noch mehr Menschen an Hunger sterben lassen und diese immense Trockenheit Flüchtlingswellen initiiert, gegen die die Momentane lediglich ein Furz in der Windhose ist.
Außerdem wird behauptet, dass bisher noch keine Südseeinsel versunken ist, und dass bei großen Wetterkatastrophen keine signifikanten Häufigkeiten beobachtet werden konnten. Muss ich hier ernsthaft nochmal den Unterschied zwischen Wetter und Klima auffahren?
Wahr ist, dass bisher keine Inseln versunken sind. Diese Gefahr besteht auch nicht akut, aber sie besteht. Dank der Anlagerung von Korallen, wachsen viele Inselgruppen im Moment sogar noch. Steigt der Meersspiegel allerdings schneller an, als die Inseln wachsen, wird die Gefahr des Versinkens plötzlich akut. Im Moment sind die „Rettungsversuche“ solcher Atolle von Seiten grüner NGOs mehr ein Mittel um sich Gelder zu sichern, werden aber bei Fortschreiten des Klimawandels plötzlich nötig – und sollten dann dringend nicht mehr so dilettantisch aufgebaut sein.

Entgegen des Artikels setzt auch niemand „Klimawandel“ und „Weltuntergang“ gleich, man warnt lediglich vor den Auswirkungen eines immer extremer werdenden Klimas. Für Politiker stellt es auch keine Möglichkeit dar, immer neue Steuereinnahmen erzielen zu können. Wenn überhaupt, dann erzielt das Wissen über den Klimawandel lediglich die Wirkung, dass Politiker vordergründig so tun müssen, als würden sie etwas dagegen unternehmen, während doch alles so weiterläuft, wie es vor Jahrzehnten schon der Fall war. Es sorgt also höchsten für mehr Arbeit im politischen Betrieb. Und welche „geltungssüchtigen Klimaforscher“ denn „eine Geschichte von der menschgemachten Apokalypse formulierten“, würde mich auch brennend interessieren.

Nun wird behauptet, die „Dystopien“ der Klimakatastrophe wären unwiderlegbar, da sich ja nicht beweisen ließe, dass Dinge die prinzipiell möglich sind, in Zukunft nicht geschehen würden.
Und genau weil man das nicht beweisen kann, fragt auch niemand danach, ob diese Katastrophe passieren wird. Die Fragen die in zahllosen Studien beantwortet werden, sind alle dadurch gekennzeichnet, dass sie klar formuliert sind und man sie deshalb beweisen kann.

„[…] Naturwissenschaft und Politik sind zwei völlig getrennte Sphären. Die Naturwissenschaft sucht nach Wahrheiten, nach Erklärungen für natürliche Phänomene auf einer rein rationalen, wertefreien Basis. Politik hingegen ist die Kunst des wertegetriebenen Ausgleichs zwischen divergierenden Interessen.“

Divergierende Interessen wie zum Beispiel den Klimaschutz oder lieber eine Reise auf einem Kreuzfahrtschiff?

„Der eine erfreut sich am Anblick eines Windrades als Symbol einer sauberen Stromerzeugung. Der andere sieht Naturzerstörung und tote Vögel. […] (K)eine dieser Ansichten ist einer Bewertung mit den Werkzeugen der Naturwissenschaft zugänglich. Eine solche dennoch anzustreben hieße, individuelle Freiheiten auf dem Altar abstrakter, lebensferner Theorien zu opfern.“

Ich will ja nicht nörgeln, aber wenn für Windräder die Natur zerstört wird und Tiere sterben, dann sind Windräder eben an diesen Stellen keine „saubere“ Stromerzeugung und sollten anderen Alternativen Platz machen müssen. Noch direkter und lebensnaher können wissenschaftliche Erkenntnisse kaum sein. Die Debatte über die Stromerzeugung ist ohnehin eine ausschweifende und da der Autor nicht weiter darauf eingeht, belasse ich es hier auch erstmal dabei.
Das ist auch gut so, denn jetzt kommen wir zum Part des Artikels, der sich bemüht, möglichst viele unpassende Vergleiche auf möglichst wenig Platz zu quetschen.

„Wie kalt und unmenschlich eine durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse determinierte Politik sein könnte, vermittelt das Beispiel der im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts äußerst populären Eugenik-Bewegung.“

Noch so ein Vergleich aus der Hölle. Es mag ja sein, dass man mit der Evolutionstheorie argumentieren könnte, dass alle Menschen optimierte Lebensformen sein müssen. Aber nur weil ein Phänomen in der Natur existiert, bedeutet das nicht, dass es auch nachahmenswert ist. Aus diesem Grund gibt es auch ethische Prinzipien und humanistisches Denken, welche ganz im Sinne von Kants Kritik der praktischen Vernunft unser Handeln so bestimmen sollen, dass jeder Mensch möglichst frei leben kann und durch das Handeln anderer nicht zu Schaden kommt.
Die Eugenetik jetzt mit „Klimadiktatur“ und „Kohlendioxid-Budget“ zu vergleichen ist wirklich einfach nur geschmacklos, passt aber zum bisherigen Artikel ganz gut.

„Eine Naturwissenschaft, die anstrebt, auf Basis ihres gesammelten Wissens eine bessere, weil „faktenbasierte“ Politik formulieren zu können, stellt aber nicht nur ein Risiko für die betroffenen Bürger, sondern auch für sich selbst dar. Denn nichts können Politiker […] weniger gebrauchen, als neue Erkenntnisse. Sie werden daher danach streben, diese auf direkte und indirekte Weise zu verhindern. […].“

Eine korrekt durchgeführte, evidenzbasierte Politik wäre im Kern vor allem eins: Wandelbar. Es wäre klar, dass sich unser Handeln in erster Linie am Stand der Forschung orientiert, und neue Erkenntnisse für neue Konsequenzen sorgen müssen. Und auch wenn Kürzungen von Finanzmitteln vielleicht ein probates Mittel sein können, um Forschung zu steuern, so lässt sich eine internationale Forschung eben nicht staatlich mundtot machen.

Das zeigt auch das nächste Beispiel des Autors wunderbar auf. Dort redet er über den russischen Biologen Trofim Lyssenko, der zu Stalins Zeiten erklärte, Umweltbedingungen hätten mehr Einfluss auf Eigenschaften einer Pflanze, als seine Gene. Stalin schoss sich auf diese Idee ein und förderte seine Forschung, was die prekäre Nahrungsmittelversorgung der Sowjetunion weiter verschlimmerte.
Obwohl Stalin diese Forschung lokal begrenzt förderte – und anscheinend die Misserfolge ignorierte – hat dies der allgemeinen Entwicklung der Genetik, bzw. der Epigenetik keinen Abbruch getan. Es war lediglich ein Staat, der darunter gelitten hat, dass offensichtliche Evidenz ignoriert wurde – etwas, das beim Klimawandel gerade ebenfalls passiert, nur dass die Evidenz in diesem Fall laut schreit: „DER MENSCH HAT SCHULD AM KLIMAWANDEL!“

„[…]wissenschaftliche Erkenntnisse dürfen als Grundlage politischer Auseinandersetzungen niemals Werte und Interessen ersetzen.“

Zum Beispiel Interessen wie die, diverser großer Konzerne, die kein Interesse daran haben, ihre Gewinne wegen erhöhter Ausgaben für den Umweltschutz davonschwimmen zu sehen?
Desweiteren meint der Autor, wissenschaftliche Argumente sollen lediglich dazu dienen, am Verhandlungstisch unter Berücksichtigung aller Interessen sowie „vor dem Hintergrund ihrer prinzipiellen Vorläufigkeit“ umgesetzt zu werden – oder eben auch nicht.
Dabei übersieht er allerdings, dass es Themen gibt, bei denen eine Verhandlung eben nicht stattfinden darf, weil die Natur eben kein gesteigertes Interesse daran hat, den Klimawandel zu bremsen, damit jede Partei am Verhandlungstisch bekommt, was sie will.

Folgende Aussage setzt dem bisherigen Text allerdings die Krone auf:

„Eine Wissenschaft, die zur Politik wird, treibt Menschen zurück in eine voraufklärerische Unmündigkeit, in der sie sich nicht ihres eigenen Verstandes bedienen, sondern sich der Leitung durch andere unterwerfen. Eine Politik, die sich einen universellen Wahrheitsanspruch anmaßt, weil sie ja auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhe, mündet automatisch in eine Diktatur.“

Wow. Da fehlen mir jetzt wirklich die Worte. Ich weiß auch gar nicht, wo ich anfangen soll. Mündige Bürger? Die existieren? Ich habe nicht das Gefühl, dass sich die Leute vor den Wahlen wirklich groß des eigenen Verstandes bedienen. Wäre dem so, existierte Martin Schulz nicht, wir hätten nicht schon den (gefühlt) zehnten Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg hinter uns und Deutschland wäre Weltweiter Spitzenreiter in der Bio- und Gentechnologie. Menschen haben sich noch nie ihres eigenen Verstandes bedient. Es existiert lediglich ein Phänomen, das Menschen alles hinterfragen lässt, woraufhin sie glauben, sie wären informiert. Dass dazu eine gewisse Sachkenntnis gehört, um Informationen korrekt einordnen zu können, hat sich dabei allerdings noch nicht zu jedem rumgesprochen. Die meisten Menschen suchen nach Argumenten für und wider einer Sache und entscheiden sich dann für die Seite, die ihnen am besten gefällt. Das war mit Sicherheit nicht das Ideal der Aufklärung.

Abgesehen davon geht der Autor davon aus, dass der wissenschaftliche Wahrheitsanspruch universell sei, also zum einen keine Meinungen zulasse und zum anderen auf jeden Bereich des Lebens anwendbar sei. Natürlich, wenn die Frage aufkommt, ob Heilpraktiker im Gesundheitswesen notwendig sind, oder ob richtige Mediziner deren Job problemlos übernehmen könnten, ist die Antwort relativ klar. Aber eine Frage, die nicht durch eine universelle Wahrheit geklärt wird ist zum Beispiel folgende: Bauen wir in der Stadt mehr Fabriken auf, um Arbeitsplätze zu schaffen oder investieren wir den Platz lieber in Wohnungen? Wer will schon in eine Stadt ziehen, in der man nicht arbeiten kann? Aber wer will schon in einer Stadt arbeiten, in der man nicht wohnen kann?
Die Antwort auf die Frage wäre eine, die die Wissenschaft eben nicht alleine finden kann, sondern bei der die Argumente der Wissenschaft lediglich helfen können, die Debatte zu leiten.

Und überhaupt, aus einer Veranstaltung, die dafür eintritt, dass die wissenschaftliche Perspektive in Debatten ebenfalls Gehör findet und wissenschaftliche Forschung eben frei und unabhängig bleibt, den Vorläufer einer Diktatur zu stilisieren ist schon ein ziemlich starkes Stück. So eine maßlose Übertreibung kenne ich sonst nur aus der Bundesliga.

Und nun folgt der letzte Absatz des Textes, in dem nochmal klargestellt wird, dass Forscher nicht über Politik zu entscheiden haben. Das will auch mit Sicherheit kein Forscher. Was sie aber wollen ist, dass ihre Expertise auf einem gewissen Feld nicht ignoriert wird und dass sich die Politik an dem orientiert, was die Wissenschaftler sagen.

„[…]Über all diese Fragen entscheiden die betroffenen Menschen selbst, unabhängig von ihrer Profession, ihren Vorkenntnissen und ihren Kompetenzen. Sie bilden sich eine eigene Meinung, vor allem auf Grundlage ihrer individuellen Einschätzung darüber, was eine vorgeschlagene Maßnahme konkret für sie bedeutet.“

Dieses Zitat will also folgendes sagen: Jedem Menschen steht es frei, das politische Geschick mitbestimmen zu wollen, sofern sie sich dabei bitte durch zutiefst subjektive Empfindungen leiten lassen und ihre Vorkenntnisse, sowie ihr Wissen außer Acht lassen. Leider liest sich der Rest des Artikels, als sollten genau die Leute in ihren Kämmerchen sitzen bleiben, die zu diesen Geschicken wirklich mal Fakten beitragen können, damit alle anderen Individualisten sich bloß nicht in ihren Interessen gestört fühlen müssen.

Eigentlich wäre jetzt Zeit für ein Fazit, aber ich weiß echt nicht mehr, was ich noch sagen soll.

Falls nicht anders angegeben, stammen alle Zitate aus dem Artikel Ein Marsch für die Wissenschaft oder ein Marsch für Lyssenko? aus Tichys Einblick, veröffentlicht am 21.4.2017 und abgerufen am 22.4.2017

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